Respektlos, unkonzentriert, überfordert? – Warum so viele Kinder in der Schule aus dem Gleichgewicht geraten
- lindalauenroth
- 12. Okt.
- 4 Min. Lesezeit
In meinen Kursen erlebe ich es immer wieder: Kinder, die eigentlich total Lust haben, die mit strahlenden Augen kommen, lachen, mitmachen wollen – und trotzdem so schnell den Faden verlieren. Und ich merke richtig: Sie wollen nicht stören.
Sie können sich einfach nicht halten.

Mein Sohn kommt auch manchmal nach Hause und erzählt mir, was in seiner Klasse los ist. Dass Kinder einfach sagen: „Nein, das mach ich nicht. “Dass sie die Lehrer ignorieren, sich einfach wegdrehen oder weiterreden, während vorne unterrichtet wird. Und ganz ehrlich – mich macht das traurig. Nicht, weil ich denke „Wie können die nur so sein?“, sondern weil ich weiß, dass dahinter etwas anderes steckt.
Denn dieses Verhalten schadet nicht nur dem Unterricht. Es schadet vor allem den Kindern selbst – und auch den anderen, die lernen wollen, die sich Mühe geben, die in Ruhe mitarbeiten möchten. Ich sehe das in meinen Kursen genauso wie an den Schulen, an denen ich unterrichte: Ein paar Kinder, die ständig rausfallen, bringen oft eine ganze Gruppe aus dem Gleichgewicht.
Reizüberflutung – wenn das Gehirn nicht mehr runterfährt
Kinder wachsen heute in einer Welt auf, in der ständig irgendwas blinkt, piept oder Aufmerksamkeit fordert. Das Gehirn lernt dabei: Ich muss immer reagieren, sonst verpasse ich was! Lange Konzentration? Geduld? Fehlanzeige.
Und ja, natürlich spielt das Handy da eine Rolle – aber es ist nicht nur das Handy. Es ist diese dauerhafte Reizflut, die Kinder nie richtig zur Ruhe kommen lässt. Sie erleben kaum noch Momente, in denen sie sich wirklich langweilen dürfen oder mal nichts passiert. Aber genau das braucht das Gehirn, um sich zu sortieren und um Fokus zu entwickeln.
Konzentration ist wie ein Muskel. Wenn ich ihn nie trainiere, kann ich ihn auch nicht benutzen.
Wenn Frust zur Katastrophe wird
Ich sehe oft, dass Kinder heute wahnsinnig schwer mit Frust umgehen können. Alles soll sofort funktionieren – und wenn nicht, ist gleich alles blöd. Viele Eltern meinen es gut (wirklich!), wollen ihr Kind beschützen, es nicht traurig sehen. Aber wenn Kinder nie lernen, dass Dinge auch mal anstrengend sind, dass man mal warten muss oder dass man nicht immer gewinnt –dann bricht bei der kleinsten Enttäuschung alles zusammen.
Dann wird aus „Ich schaff das nicht“ ganz schnell ein „Ich will das nicht!“ Und genau da entsteht oft das, was wir Erwachsenen als „respektloses Verhalten“ wahrnehmen. Aber im Kern steckt da oft einfach Überforderung drin.
Nähe ist wichtig – aber Kinder brauchen trotzdem Grenzen
Ich bin total für eine liebevolle, bindungsorientierte Erziehung – aber ich sehe auch, dass viele Eltern das falsch verstehen. Bindung heißt nicht, dass Kinder alles dürfen. Bindung heißt, dass Kinder sich sicher fühlen. Und Sicherheit entsteht durch klare Grenzen.
Kinder brauchen Erwachsene, die ihnen Orientierung geben. Die sagen: „Ich verstehe dich – aber hier ist Schluss. “Nicht, weil wir Macht ausüben wollen, sondern weil Kinder sonst komplett den Halt verlieren.
Wenn Eltern aus lauter Angst, etwas „falsch“ zu machen, gar keine Grenzen mehr setzen, übernehmen Kinder unbewusst die Führung – und das überfordert sie total. Sie können das gar nicht leisten. Und dann kippt es: in Unruhe, Trotz oder eben Respektlosigkeit.
Was an Schulen passiert – und warum es alle betrifft

Ich sehe es in Schulen ständig: Lehrer geben sich Mühe, bringen Herzblut mit, wollen Kinder erreichen – und stoßen an ihre Grenzen. Ein paar Kinder, die ständig dazwischenrufen, provozieren oder einfach nicht mitmachen, bringen ganze Klassen aus dem Gleichgewicht.
Und auch die Kinder, die ruhig sind, die sich anstrengen, leiden darunter. Sie werden ständig aus ihrer Konzentration gerissen. Sie trauen sich manchmal gar nicht, etwas zu sagen, weil sie merken: „Hier geht’s drunter und drüber.“
Respektloses Verhalten ist also kein „Einzelfall-Problem“. Es betrifft alle. Es macht Schule für Lehrer anstrengend, für Kinder stressig – und für Eltern oft ein Rätsel.
Und ich glaube, viele Kinder wissen gar nicht, wie sie anders reagieren sollen. Wenn sie zu Hause oder in ihrer Freizeit selten Grenzen erleben, lernen sie nicht, wie man mit Autoritäten umgeht – oder dass Regeln nicht böse sind, sondern Struktur geben.
Körper und Geist gehören zusammen
Ich biete spezielle Kinderkurse an – dort geht’s nicht nur um mentale Stärke, sondern auch um Bewegung, Koordination und Körperwahrnehmung. Denn: Kinder, die ihren Körper nicht richtig spüren, tun sich auch mit Konzentration und Emotionen schwer.
Ein Beispiel:
Ich nehme oft eine Koordinationsleiter mit. Viele kennen das vielleicht vom Fußball. Ich verbinde sie mit dem Thema Emotionsregulation. Das erste Feld steht für „Wut“. Wir sprechen darüber: Bleibe ich in meiner Wut drin oder finde ich Wege, mich davon zu lösen?Dann dürfen die Kinder mit beiden Beinen durch jedes Feld hüpfen.
Und das Spannende:
Von 25 Kindern schaffen das oft nur drei richtig. Die meisten springen zu schnell, mit nur einem Bein oder treffen die Felder gar nicht. Das klingt nach einer Kleinigkeit – ist aber so aussagekräftig.
Wenn Kinder schon körperlich nicht spüren, wo sie stehen, wie sollen sie dann emotional spüren, wo ihre Grenze ist? Körperliche Wahrnehmung ist die Basis für Selbstregulation – und damit auch für Konzentration und Respekt.
Respekt wächst durch Vorbilder
Kinder lernen am stärksten durch Beobachtung. Wenn sie Erwachsene sehen, die ruhig bleiben, auch wenn’s stressig wird, die klar, aber liebevoll sind, dann lernen sie: So geht Miteinander.
Aber wenn sie sehen, dass Erwachsene selbst ständig genervt, abgelenkt oder respektlos sind – übernehmen sie das. Kinder spiegeln uns. Nicht das, was wir sagen – sondern das, was wir tun.
Kinder brauchen keine perfekten Eltern. Sie brauchen echte Eltern – mit Herz, Klarheit und Haltung. Sie brauchen Erwachsene, die sagen: „Ich seh dich. Ich versteh dich. Aber hier ist Schluss. “Und sie brauchen Pausen. Zeit zum Langweilen. Zum Durchatmen. Zum Spüren.
Wir müssen nicht ständig alles sofort lösen oder glattbügeln. Manchmal reicht es, einfach da zu sein – präsent, ehrlich, ruhig.
Denn langfristig tun wir unseren Kindern keinen Gefallen, wenn wir sie ohne Grenzen, ohne Fokus und ohne Frusttoleranz durchs Leben schicken. Das Leben wird dadurch nicht leichter – im Gegenteil. Es wird härter. Weil sie überall anecken, in der Schule, im Beruf, in Beziehungen.
Also, liebe Eltern:
Lasst uns wieder mehr Führung mit Herz übernehmen.
Lasst uns wieder mehr Ruhe zulassen.
Und lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass unsere Kinder wieder wissen, wie sich Respekt, Konzentration und echtes Miteinander anfühlen.

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